Der erste namentlich erwähnte Drehorgelbauer in Berlin hieß Kummer. Seine Werkstatt befand sich am Spittelmarkt Nr. 4. Danach folgten die Werkstätten Frati & Co, die im folgenden dargestellten Werkstätten der Bacigalupo-Familie, Holl, Gröseling, Hilger und Töpfer.

Schon am kurfürstlichen und preußischen Königshof übernahmen Italiener teilweise staatstragende Funktionen. Der venezianische Kaufmannssohn Francesco Algarotti, ein Zeitgenosse Voltaires und Maupertius, wurde von Friedrich II. in den Grafenstand erhoben und erhielt den Orden Pour Le Mérite. Algarotti blieb von 1740 bis 1753 in Berlin. Die "italienische Kolonie" Berlins befand sich  bereits damals in Prenzlauer Berg (was strenggenommen nicht stimmt, weil das Stadtviertel erst 1921 seinen Namen erhielt) zwischen Schönhauser Allee, Buchholzer Straße und Pappelallee.

So siedelte sich auch Giovanni Battista Bacigalupo (4.12.1847 - 1914) 1873 in der Schönhauser Allee an. Der aus Modena stammende Drehorgelbauer Bacigalupo ist der erste einer Vielzahl von Orgelbauern mit diesem Namen, der ein überaus erfolgreiches Familienimperium begründete, das zwischen 1891 und 1975 in Berlin Drehorgeln produzierte und weltweit auslieferte.

Versuchen wir, ähnlich wie bei den Waldkircher Orgelbauern, einmal, das Firmenwirrwarr zu sortieren:

Giovanni Battista hatte sehr früh seine Heimatstadt verlassen und ließ sich nach Lehrjahren in Paris, wo er bei Ludovico Gavioli arbeitete, danach bei Chiappa in London und ab 1867 in Hamburg, wo er bereits Musikinstrumente reparierte in Berlin nieder, wo er 1879 zunächst Teilhaber der Firma „Frati & Co.“ in der Buchholzer Straße 1 wurde. Nachdem sein Kompagnon, Chiaro Frati, 1890 zurück nach Italien ging, gründete Bacigalupo 1891 zunächst die Firma „Cocchi, Bacigalupo & Graffigna“ in der Schönhauser Allee 78 zusammen mit dem Orgelbauer Giuseppe Cocchi und dem Gastwirt Antonio Graffigna, der für den Vertrieb bzw. den Verleih der Orgeln zuständig war.

In diesem Betrieb arbeiteten zeitweise bis zu 50 Mitarbeiter. Hier waren Tischler, Drechsler, Schlosser, Dreher, Gürtler, die die Cornetts aus Messing für die "Cornettino-Orgeln" fertigten, Bildermaler, Orgelbauer, Pfeifenmacher, Walzenarrangeure, Walzenzeichner und Walzenbestifter beschäftigt.

Fabrik Schönhauser Allee 78 Prospekt ca. 1897

Die Instrumente dieser Firma wurden auf internationalen Ausstellungen gezeigt.
Die Firma löste sich 1903 auf, nachdem 1896 bereits Giuseppe Cocchi mit seinem Sohn John aus der Firma ausgetreten war und in der Lychener Str. 2/3 ein eigenes Unternehmen gegründet hatte.

1903 gründete Giovanni Battista Bacigalupo mit seinen beiden älteren Söhnen Louis und Giuseppe die Orgelbaufirma „Bacigalupo und Co.", wieder in der Schönhauser Allee 78. Dieses Unternehmen existierte allerdings nur zwei Jahre.


G. Bacigalupo Trompetenorgel

1905 (oder 1908?) eröffnete Giuseppe Bacigalupo, der Sohn, seine Werkstatt unter dem Namen "G. Bacigalupo" in der Schönhauser Allee 79, also in unmittelbarer Nachbarschaft. Giuseppe Bacigalupo arbeitete dort bis zu seinem Tod im Jahre 1921. Nach dem Tod von Giuseppe Bacigalupo im Jahre 1921 übernahm dessen Sohn Giovanni die Firma und führte diese bis zu seinem Tod im Jahre 1934. Sein Nachfolger war Luigi Bacigalupo.

1907 wanderte Louis Bacigalupo nach Amerika aus und überließ seine Werkstatt in der Waldstr. 43 seinem jüngeren Bruder Giovanni Giacomo Bacigalupo jun. Dieser führte die Firma zusammen mit seinem Schwager Lino Gattorna unter dem Namen "Bacigalupo Söhne" weiter, während sich der Vater Giovanni Battista aus dem Orgelbau zurückzog.
1908 zog die Firma "Bacigalupo Söhne" (Inhaber Giacomo Giovanni Bacigalupo jun., in Berlin "Hannes" genannt und Lino Gattorna) in die Schönhauser Allee 74.
Der endgültig letzte Umzug erfolgte 1912 in die neuen Gewerberäume in der Schönhauser Allee 74a. Hier fertigte "Hannes" bis zu seinem Tode 1978 Walzen und bis 1975 Orgeln mit dem Signet "G. Bacigalupo" an.


Uff! Alles klar?

Sollte ein Leser Korrekturen zu obigen Ausführungen haben, benutzen Sie bitte das Kontaktformular, die Literatur ist spärlich...

Tonträger der meisten Orgeln aller Bacigalupos waren bestiftete Walzen, um 1920 und auch in den 60er Jahren wurden auch Lochbandnotenrollen im Zustromverfahren parallel gefertigt, die aber offenbar in der absoluten Minderzahl blieben. Ich habe selbst bisher erst zwei solcher Instrumente gesehen, wobei ich davon ausgehe, dass die Orgel, die zum Drehorgelfest in Waldkirch 2014 vorgeführt wurde, eher aus der Werkstatt von Curt Baum stammt.

Werner Baus hat in den 70er Jahren ebenfalls Orgeln mit den Originalintersien von G. Bacigalupo gefertigt, allerdings mit 26er Lochbandnoten im Abstromverfahren. Eine Foto eines solchen Instruments findet sich unten beim Kapitel "Baus 26 Tonstufen". Auch seine späteren "Harmonipan"-Orgeln bedienen sich bei Beibehaltung dieses technisch sicherlich besten Verfahrens der Stilistik von Bacigalupo.

Hier habe ich von Besuchern der Site große Kritik erfahren bzgl. meiner Bewertung des Abstrom- bzw. Zustromverfahrens: Natürlich ist das Zustromverfahren bei entsprechender Dichtigkeit des gesamten Abtastraumes nicht nur völlig zuverlässig, sondern dem Abstromverfahren vielleicht sogar überlegen, es reagiert vielleicht schneller. Wartungsärmer und vor allem beim Bandwechsel wesentlich leiser gestaltet sich das Abstromverfahren. Also "nix für ungut", aber trotzdem: "ois easy" ist das Abstromverfahren.


Bis 1975 existierte das Unternehmen von Giovanni "Hannes" Bacigalupo (25.7.1889 - 10.7.1978), einem Sohn des ersten Bacigalupo, in der Schönhauser Allee 74a, der allerdings in seinen letzten Jahren lediglich Reparaturen vornahm, aber trotz seines hohen Alters und schnell nachlassendem Augenlicht wohl weiterhin Walzen fertigte. Seine Witwe vermachte den Nachlaß zu Teilen dem Spediteur Curt Baum in Hamburg, der die Produktion mit Originalteilen aus dem Bestand auch noch nach 1975 aufrechterhielt - auch diese Orgeln sind aufgrund herausragender Qualität heute gesuchte Sammlerstücke. Andere Teile des Nachlasses gingen an Werner Baus und an Siegfried Wendel, der sie heute noch in seinem Museum ausstellt.

Die Berliner Werkstatt in der Schönhauser Allee 78 existiert nicht mehr, hier sind heute die "Schönhauser Allee Arkaden". 2012 wurde zumindest an der letzten Wirkungsstätte von "Hannes" in 74a rechts neben der Einfahrt eine Gedenktafel an die fast 100-jährige, erfolgreiche Geschichte des Drehorgelbaus in Berlin angebracht. Das Firmenschild, dass noch bis weit in die 90er Jahre über der Einfahrt hing, befindet sich heute beim Museum Pankow.

http://www.museum-digital.de/berlin/singleimage.php?imagenr=607&inwi=1&w=1366&h=673

Quelle: Museum Pankow


Der Spiegel schrieb in Ausgabe 30/1978 unter "Verstorben" nicht ganz korrekt:

Giovanni Bacigalupo

Giovanni Bacigalupo, 88. Als die aus Genua eingewanderten Brüder Bacigalupo 1875 in Berlin eine Fabrik für mechanische Orgeln gründeten, hatten die Leierkastenmänner der Stadt noch Hochkonjunktur. Doch nicht nur sie, die auf Hinterhöfen und Rummelplätzen für Groschenbeträge die jeweils neuesten Schlager spielten, zählten zu den Kunden der Brüder Bacigalupo, auch der russische Zar orderte aus der weltberühmten Berliner Werkstatt rund tausend der mechanischen Musikinstrumente. Viele der rund siebentausend Orgeln, Orchestrien und elektrischen Klaviere, die insgesamt in der Werkstatt an der Schönhauser Allee entstanden, baute Giovanni Bacigalupo, Sohn eines der Firmengründer. Mit dem Aufkommen von Schallplatte und Radio gingen die Aufträge für den Drehorgelbauer zurück. Im vergangenen Jahr schloß er seine Werkstatt. Einige seiner Instrumente überdauerten die "schnellebig gewordene Zeit", in der die Menschen "nicht mehr soviel übrig haben für diese Art von Romantik" (Bacigalupo): ein paar stehen im "Automatophonesaal" des Märkischen Museums in Ost-Berlin, die meisten sind in der Hand von Sammlern. Jetzt starb der letzte Drehorgelbauer der DDR in Ost-Berlin.