Vom Maurergesellen zum "Global Player" - Die Bruder-Firmen in Waldkirch

Ignaz Blasius Bruder aus Zell am Harmersbach (1780-1845) gründete in Waldkirch (Schwarzwald) eine der in Deutschland erwähnenswerten Drehorgeldynastien. Er selbst hatte wohl als Wandergeselle um 1798 in Nancy und Mirecourt (Frankreich) den Drehorgelbau kennengelernt. Es ist allerdings in der Literatur umstritten, ob er sich das Handwerk tatsächlich in Frankreich angeeignet hat oder ob er sein Wissen um den Orgelbau einfach autodidaktisch entwickelt hat.
Nach Jahren im Schwarzwalddorf Simonswald, in denen er nachweislich als Maurergeselle gearbeitet hatte und in seiner kargen Freizeit wohl Orgeln gebaut haben muss (vor allem im Winter), wurde er im Jahre 1806 in Waldkirch mit einer eigenen Orgelmanufaktur ansässig. Seine dort entwickelten Drehorgeln wurden in alle Länder dieser Welt exportiert.
Fünf seiner Söhne erlernten ebenfalls das Handwerk des Musikwerkmachers und führten die Orgelmanufaktur weiter fort, bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Im Folgenden will ich versuchen, die familiären und anderen Querverbindungen im Waldkircher Orgelbau kurz darzustellen. Nachdem die Geschichte des Waldkircher Orgelbaus Bücher füllt, möchte ich mich auf Grundlinien beschränken. Weiterführende Literatur finden Sie unter Literatur weiter unten.

 

Ignaz Blasius Bruder

Ein Problem der Familiennachfolge im Schwarzwald war die überkommene Erbfolge: Letztlich konnte jeweils nur der jüngste männliche Nachkomme eines Hofes diesen von seinem Vorfahren übernehmen. Das hatte sicherlich gute Gründe, weil damit lange Generationenfolgen für die Kontinuität eines landwirtschaftlichen Anwesens möglichst gesichert waren. Ignaz Blasius Bruder folgte diesem Generationenvertrag wohl aus den gleichen Überlegungen und natürlich aus Tradition auch für seine Orgelbaufirma. Ignaz Blasius hatte 5 Söhne.
Aufgrund der Erbfolgeregelung schlossen sich bereits 1864 seine Söhne Wilhelm und Ignaz sowie ein Sohn eines weiteren Sohnes (Andreas), nämlich Franz-Joseph Bruder, zur Orgelbaufirma Gebrüder Bruder zusammen. Diese Firma war die größte Orgelbaufirma in Waldkirch. Auch in dieser Firma sollte nach dem Gesellschaftsvertrag immer der jüngste Spross aller Firmeninhaber die Firma fortführen.
Orchestrion Gebr. Bruder

Bildnachweis: Elztalmuseum

Zum Anschauen: Gebr. Bruder Mod. 107

Somit sahen die Söhne von Wilhelm Bruder, nämlich Wilhelm und Arnold keine Chance zur Übernahme und gründeten deshalb die Firma Wilhelm Bruder Söhne.

Die Söhne des Sohns Ignaz Bruder, Max und August Bruder, taten es der Verwandtschaft nach und gründeten die Firma Ignaz Brüder Söhne. Diese Firma war wohl auch die erste, die Orchestrions fertigte. Was hier nach einem gnadenlosen Konkurrenzkampf aussieht, war wohl nicht wirklich als solcher zu bewerten: Die Firmen unterstützten sich gegenseitig mit Material und Arbeitskraft, zahllose Rechnungen und Kompensationslieferungen belegen das. Die einzige mit Dampfkraft ausgestattete Firma war seit 1889 die der Gebrüder Bruder - als nach dem ersten Weltkrieg das Saarland besetzt wurde und somit keine Kohle mehr für den Betrieb der Dampfmaschine zur Verfügung stand, wurden wie selbstverständlich für die energieabhängigen Arbeiten durch die Wilhelm Bruder Söhne entsprechende Arbeitsleistungen in den eigenen Betriebsräumen zur Verfügung gestellt.
Auch ansonsten kooperierte man: Im Jahre 1900 wurde zur Weltausstellung in Paris von allen einheimischen Waldkircher Firmen eine mechanische Orgel mit 80 Claves gebaut. Diese überzeugte die Jury in Paris durchaus, nachdem sich aber herausstellte, dass sie mit einer Walze bestückt war und nicht mit der zu diesem Zeitpunkt schon üblichen Steuerung durch Faltkartons, reichte es statt zur Goldmedaille eben doch nur zur Silbermedaille. Hier war der Konkurrenzdruck, den die Firma Gavioli durch ihre Dependance in Waldkirch aufgebaut hatten, zu spüren. Die Bruder-Firmen passten sich daraufhin dieser Technolgie an.
Merkwürdigerweise hielt die Firma Ruth weiterhin an der alten Bauweise fest, obwohl sie durchaus bereits zu diesem Zeitpunkt eine Kartonfaltbandorgel nach Wien geliefert hatte.
1908 trat an die Stelle der Firma Gavioli, deren Stammwerk in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, die Firma Limonaire Frères ebenfalls mit einem "Zweigwerk" der Pariser Produktion. Zu Beginn des ersten Weltkriegs wurde dieses Werk als Feindvermögen aufgelöst.
Es sei festgehalten, dass bis auf die Bruder-Firmen der Schwerpunkt der Herstellung der ausländischen Konkurrenz immer auf dem Bau von Jahrmarktsorgeln lag, an Kleinwerke war aufgrund der Ausrichtung der Produktion nicht zu denken. Insofern ist es schon erstaunlich, dass alle Bruder-Firmen, aber auch die Firma Ruth weiterhin Kleinorgeln im Angebot hatten.

Weitere Hersteller
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts revolutionierte die industrielle Fertigung die Drehorgelherstellung und es siedelten sich weitere Orgelbaufirmen in Waldkirch an, nämlich die Orchestrionfabrik Gebr. Weber, Carl Frei, mehrere Firmen der Familie Ruth sowie Dependancen der französischen Orgelfirmen Gavioli und Limonaire. Sie trafen hier auf ausgebildete Fachkräfte, wohl schon damals ein "Standortargument".


Vor mehr als 100 Jahren gab es in Waldkirch also insgesamt 9 Firmen, die mit dem Bau mechanischer Musikinstrumente beschäftigt waren und den Ort weltbekannt machten, weil die hergestellten Instrumente von hoher Qualität waren und deshalb einen guten Ruf genossen.

Nachdem wir über die Bruder-Firmen bereits berichtet haben, hier nun in Kürze die weiteren Mitbewerber: Im Orchestrionbau war die Firma Gebrüder Weber führend, im Orgelbau waren dies A. Ruth & Sohn und Gebrüder Bruder.

Orchestrion Ruth und Sohn

Bildnachweis: Elztalmuseum

Bis in die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden mit den Orgeln durchaus gute Geschäfte gemacht. Gerade Gebr. Weber passten sich dem amerikanischen Musikgeschmack, also Jazz und Dixieland, dank hervorragender Musikarrangements an. Dazu trug auch der dort beschäftigte Musikzeichners Gustav Bruder bei. Andere herausragende Musikzeichner waren Rudolf Weiser bei Ruth und Hermann Rambach bei Gebrüder Bruder.

Es soll noch erwähnt werden, dass Ruth im Jahre 1900 die erste Kartonnotenorgel für einen Kunden in Wien herstellte. Kartonnotensteuerungen wurden in das Modell 30 mit 45 Tonstufen bis einschließlich Modell 39 mit 96 Tonstufen eingebaut. Von diesem letzten Modell 39 wurden 1926 zwei Exemplare gebaut, beide waren voll chromatisch und waren gem. der Literatur in der Lage, auch die schweren Stücke der Musikliteratur, wie z.B. Richard Wagner, zu Gehör bringen. Die beiden 39er Ruth-Orgeln werden als das Beste bezeichnet, was in Deutschland an Jahrmarktorgeln gebaut wurde. Die Orgeln sind bis heute erhalten und in der Schweiz und in den Niederlanden (Museum in Utrecht) zu sehen.

Zum Anschauen: 39er Ruth