Seit gefühlten Ewigkeiten habe ich nach einem der seltensten mechanischen Musikinstrumente gesucht. Fündig geworden bin ich dann beim googlen auf der 6. Ergebnisseite (so weit habe ich eigentlich noch nie geblättert): Im Forum der belgischen Freunde mechanischer Musik fand ich eine (wirklich kleine) Kleinanzeige, in der 1 Tanzbär und eine Hohner Magic Organa angeboten wurde. Der Verkäufer hatte lediglich zwei Telefonnummern hinterlassen, auf denen er zu erreichen sei. Nachdem sowohl mein flämisch als auch mein französisch nicht wirklich "state of the art" sind, habe ich den Webmaster von MechaMusica um eine E-Mail-Adresse des Verkäufers gebeten. Die habe ich dann auch prompt von Björn Isebaert am selben Abend erhalten, allerdings mit der Bemerkung, dass der Verkäufer nie seine Mails anschaut. Also doch anrufen, Jef erwies sich als der deutschen Sprache mächtig - was hätte man von unseren nordwestlichen Nachbarn auch anders erwartet? Wir haben dann einen Termin ausgemacht und ich habe die Organa und den Tanzbären in Brüssel bei Jef abgeholt. Danke, Jef, es war ein wunderschöner Vormittag mit Deiner Frau und Dir (und Deiner DECAP)! Auch wenn ich kein Schweigegelübde abgelegt habe: Jef ist in der Orgelszene wirklich kein Unbekannter, er macht aber mit 80 Jahren einfach "Klar Schiff", seine Großorgeln (Mortier, Decap, Limonaire) hat er bereits vor einiger Zeit verkauft, einige schöne kleine Stücke sind noch zu haben.


Doch nun zur Magic Organa: Die Quellenlage ist gar dürftig. René Seybold war bei Hohner in Trossingen angestellt und hat sich irgendwann wohl in den zwanziger Jahren in Strasbourg selbständig gemacht. Jüttemann (Lit. Nr. 3) spricht davon, dass Seybold zwischen 1920 und 1930 die "Electric Organa" hergestellt hat, das ist auch durch weitere Quellen belegt. Er hat stets mit Hohner zusammengearbeitet und 1931 (also erst zu einer Zeit, als die mechanischen Instrumente ziemlich auf dem Rückzug waren) mit Patent 519 109 die Magic Organa patentieren lassen.

Ich sehe das ein wenig pragmatisch. Nachdem alle diesbezüglichen Erfindungen zur Herstellung eines mechanischen Akkordeons bereits mindestens 25 Jahre vorher gemacht wurden, musste Seybold, um allen Patentstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, eine völlig neue Steuerung "erfinden". Aus dem belegten Instrumentenbau vor dieser Zeit hatte er genügend Erfahrung, die Magic Organa mit entsprechenden "Neuigkeiten" zu bestücken. Was herauskam, war ein Instrument, das einem "weird professor" zu aller Ehre gereicht hätte.

Kleiner Exkurs zum Patentrecht: Ich habe bislang nur so viel herausgefunden, dass Hohner selbst weder auf den Instrumenten noch in der Werbung auf eine Patentierung hingewiesen hätte. Das legt den Schluß nahe, dass Seybold kein D.R.P. beantragt hatte, sondern das Instrument in Frankreich patentiert wurde - Straßburg war seit 1918 in Frankreich belegen. Seit dem 05. Juli 1844 war in Frankreich ein Patentgesetz eingeführt, dass mit wenigen Änderungen bis 1968 gültig war. Im Unterschied zum deutschen Patentrecht wurde der Patentschutz gewährt, ohne eine Prüfung auf vorhandene Erfindungen des gleichen Typs durchzuführen, es galt lediglich das Anmeldeprinzip. Zitat Artikel 11:


Hohner Magic Organa Motor

"Les brevets dont la demande aura été régulièrement formée seront délivrés sans examen préalable, aux risques et périls des demandeurs, et sans garantie soit de la réalité, de la nouveauté ou du mérite de l'invention, soit de la fidélité ou de l'exactitude de la description."

Das nannte man rechtlich ein Breveté sans garantie de Gouvernement (Breveté s.g.d.g.) - ein Haftungsausschluss des Staates, der erst 1968 aufgehoben wurde. Damit hätte man also auch eine nicht originäre "Erfindung" schützen lassen können.

Nach einigen Recherchen bin ich aber nun eines Besseren belehrt: Patent 519 109 ist ein deutsches Reichspatent, dass sich, wie ich bereits bei der "französischen Variante" vermutet hatte, auf das Zusammenspiel der Komponenten in der Magic Organa bezieht. Das Rene Seybold insgesamt im Zeitraum zwischen 1921 bis 1963 mehr als 70 in- und ausländische Patente erworben hat, die sich alle auf Musikinstrumente und deren Verbesserung beziehen, noch als Zusatzinformation.

Besten Dank an Herrn Grahl für die Patentrecherche! Falls jemand Herrn Grahls Dienste zur gezielten Patentrecherche in Anspruch nehmen möchte, hier die Mailadresse:

patent_idea_contact@yahoo.de.nospam - bitte löschen Sie die Endung ".nospam" am Ende der Adresse zur Kontaktaufnahme.

 

 

 

Hier zum Nachlesen das Patent:

 



Magic Organa geöffnet
Magic Organa Rollen

Der Antrieb der Rolle erfolgt über einen Federmotor, dessen Geschwindigkeit regelbar ist (im Bild oben ist der Motor und seine Steuerung zu sehen). Das Band wird, wie bei mechanischen Klavieren üblich, über Saugluft abgetastet, die über ein Fußpedal erzeugt wird. Zu allem Überfluß muss der Spieler dann auch noch den Balg betätigen, um die Stimmzungen zum Klingen zu bringen. Auf einer Werbung aus den 30er Jahren ist ein junger Mann unter einem Baum zu sehen, der seine Liebste mit der Magic Organa unterhält - nach drei Liedern hatte der nach meiner Einschätzung auf jeden Fall keine weiteren Ambitionen mehr, die Magic Organa wiegt knapp 11 kg, dazu muss man noch den Fußbalg und die Rollen zum Ausflug mitnehmen. Dafür hat das Gerät aber immerhin 44 Tonstufen und spielt sich recht gut.

Als Hörbeispiel ein Marsch, den ich zwar kannte, der aber auf der Rolle leider nicht näher bezeichnet ist (XXOXX). Dank Björns und Peter Macketts Hilfe (Thank You, Sir!):

Darunter noch ein Link, der mir persönlich am Herzen liegt - nie wieder Krieg! Auch wenn man Marschmusik mag.