Die Airophon-Fassade nach der Bearbeitung
Die Airophon-Fassade nach der Bearbeitung

Ich nehme eigentlich immer an den Auktionen des Auction Team Breker in Köln teil - es muss ja nicht immer ein Großinstrument sein. Im Mai 2020 wurden gleich mehrere Objekte angeboten, die mein Interesse weckten. Der ein oder andere mag das Gefühl kennen, das sich unschwer mit dem Esel zwischen den Heubündeln beschreiben lässt. In der Auktion gab es tatsächlich eine Vielzahl von Objekten, die mich interessiert haben. Und eigentlich hatte ich vor, meine Polyphon-Sammlung um weitere Platten für mein 104er Polyphon zu erweitern. Mit viel niedrigerer Losnummer gab es noch ein Paul-Ehrlich-"Orpheus", mit einer guten Anzahl Tonträger zu einem akzeptablen Aufrufpreis. Ich behalte bei Auktionen dennoch immer einen kühlen Kopf und halte meine Limits. Das Instrument zog also sozusagen an mir vorüber. Fachliteratur kann man auch nie genug haben, also war das nächste Los, für das ich bereits ein in meinen Augen durchaus akzeptables Gebot abgegeben hatte, auch spannend. Und wieder lag ich um 50 Euro unter dem Zuschlagspreis. Danach hatte ich mir ein Instrument angesehen, dessen Mindestgebot ich nicht für akzeptabel hielt, es war mir schlicht zu teuer. Das fanden offensichtlich auch viele andere Bieter, das Los blieb unverkauft. Das dann die weiteren Lose, auf die ich bieten wollte, ebenfalls jenseits meines selbst gesetzten Limits lagen (und ich dieses schon stillschweigend um das bereits gesparte Geld aus den nicht erhaltenen Losen erhöht hatte), machte die Auktion zu einem Erlebnis, zu dem ein deutscher Fußballer mal den schönen Spruch getan hat: "Zuerst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu."

Ich habe dann das Auction-Team angemailt und gefragt, ob die angebotene Gebr.-Bruder-Orgel im Nachverkauf zu erwerben wäre. So bin ich also doch noch zu einer Jahrmarktorgel mit Stiftwalze gekommen.


Die Orgel war im Katalog beschrieben als "Jahrmarkt-Orgel Gebrüder Bruder Airophon, um 1910", es soll sich um eine (ältere) Restaurierung von Carl Frei handeln. Immerhin hat die Orgel 41 Tonstufen (was für eine Gebr. Bruder eher unwahrscheinlich oder zumindest selten sein sollte). Für den ausgehandelten Preis konnte man dennoch nicht viel falsch machen und im Katalog sah das auch durchaus ansprechend aus.

Mein fester Spediteur, der eigentlich alle meine Erwerbungen von Breker transportiert, hat die Orgel dann geliefert, den Zustand habe ich auf den folgenden Bildern dokumentiert.

Ich kenne ja etliche Orgeln von Carl Frei und halte mich da auch selten zurück, was deren Substanz angeht, aber diese "Restauration" ist eher eine selbst für Frei´sche Verhältnisse Hudelei geworden: Irgendwie hat Frei wohl alles, was noch irgendwie nach Pfeifenwerk aussah, in der Werkstatt zusammengekehrt und passend gemacht. Die Orgel hat 62 Tonstufen? Ich habe aber nur 41 Pfeifen zusammengefunden, das muss doch gehen? Klar, geht, wenn man auf dem Clavesbalken halt ein paar Claves unbenutzt lässt - die müssen dann aber auch entfernt werden, damit sie sich nicht mit der Walze ins Gehege kommen. Die Basspfeifen sind gekröpft und das passt nicht, aber das Gehäuse ist hoch genug? Kröpfung aufschneiden, um 180° drehen, sieht doch fast wie neu aus!

Das Gehäuse war offensichtlich schon bei Gebr. Bruder nicht aus dem hochwertigsten Holz gefertigt, aber dennoch sehr stabil. Ich habe am Gehäuse deshalb lediglich konstruktive Schadstellen ausgebessert, z.B. wurden die oben auf der Gehäusedecke festgenagelten Brettchen und Pappen durch eingepasste Holzteile ersetzt und der fehlende hintere Deckel neu angefertigt, das Innere soll ja schließlich staubgeschützt sein.

Oil on Canvas - hier wartet Arbeit, auch wenn es nicht original ist
Oil on Canvas - hier wartet Arbeit, auch wenn es nicht original ist

Melodiepfeifen bei der Basspfeife rechts wurde die Kröpfung nicht begradigt - hmm
Melodiepfeifen
Clavesbalken mit entfernten Claves
Clavesbalken mit entfernten Claves - was zuviel ist, ist zuviel...

Das ziemlich lappige Bild fand ich dennoch zeitgenössisch passend und erhaltenswert. Ich habe es entnagelt und dann nach Art eines Rollos zuerst einmal eingerollt. Dabei konnte man dann auch schön sehen, warum das nicht vernünftig gespannt werden konnte. Die Balustrade im unteren Drittel der Fassade hatte einen Vorsprung, der ein glattes Aufziehen des Bildes natürlich verhinderte (im Bild unten links zu sehen). Ich habe diesen Vorsprung begradigt (unten rechts im Bild).

Danach wurde das Bild mit dem Handbesen gereinigt und zwei schadhafte Stellen mussten hinterklebt werden. Die Kanten wurden begradigt und der Stoff und die Hinterleinwand wieder sauber verspannt. Das Ergebnis kann man als erstes Bild oben auf dieser Seite sehen.

Um die Orgel überhaupt spielbar zu machen, musste man sich als nächstes der Walze widmen. Die ist tatsächlich von Carl Frei gestempelt, wahrscheinlich hätte auch kein anderer Arrangeur die Abstände zwischen den Spuren auch nur annähernd hingebracht, weil die dank der fehlenden Claves ja keine regelmäßige Abfolge haben. Nach dem Ziehen erwies sich die Walze als rund, ich habe Brücken und Stifte dann auf einer Lehre auf gleiche Höhe gebracht und dafür gesorgt, dass die einzelnen Spuren auch tatsächlich Spuren sind.

Was diese Orgel in ihrem Leben gespielt haben muss, konnte man an dem Sternrad ablesen, das völlig eingelaufen war und deshalb einen regelmässigen Transport der Stiftwalze nicht mehr sicherstellen konnte. Das Sternrad wurde gereinigt und um 180° gedreht, jetzt ist der Zugriff praktisch wie neu und nachdem die Justierung der Walze in der Orgel wohl stimmt, sollte das für die nächsten Jahrzehnte ausreichen.

Der Deckel der Walze hatte wohl öfter Kontakt mit Beton gehabt, die schadhaften Stellen wurden mit der Oberfräse bis auf das Mass des Innendeckels abgefräst und dann wieder ergänzt.

Reparaturen am Bild der Fassade
Reparaturen am Bild der Fassade

Gezogene Walze vor der Orgel - zum Größenvergleich eine Gasparini
Gezogene Walze vor der Orgel - zum Größenvergleich eine Gasparini
Links der Auffindungszustand, rechts das gedrehte Sternrad
Links der Auffindungszustand, rechts das gedrehte Sternrad

Vorläufiges Resümee
Diese Orgel ist ein Zeitzeuge. Wenn ich bei unseren niederländischen Freunden schon stets betont habe, dass Umbauten, Ergänzungen, Rücknahmen von Umbauten und die Weiterverwendung von Teilen für andere Instrumente Tradition hatten, ist diese Form des Recycling, die an dieser Orgel abzulesen ist, wahrscheinlich trotzdem einmalig in ihrem Anspruch, einem offensichtlich nicht mehr funktionsfähigem Instrument doch wieder eine Funktion zu geben. Ob ich diese Orgel noch einmal kaufen würde? Wahrscheinlich ja, zu einem solchen Preis ist es gerechtfertigt, auch ein in den Augen anderer Liebhaber weniger erstrebenswertes Exemplar einer Jahrmarktorgel wieder zum Leben zu erwecken. Intoniert und gestimmt ist die Orgel noch nicht, aber das wird sicherlich auch noch kommen.

Das, was ein Orgelbauer wie Stefan Fleck aus Waldkirch mit "Patina" bezeichnet, die es nach seiner Auffassung unbedingt zu erhalten gilt, hat diese Orgel gewiss. Eine Rückführung in den Urzustand, wie diese Orgel die Werkstatt der Gebr. Bruder verlassen hat, würde jegliches Budget sprengen. Sie wäre auch historisch zweifelhaft, weil durchaus als gesichert gelten darf, dass viele Teile der Orgel (bis hin zur Fassade, bei der ich zweifle, ob sie dem Ursprung entspricht) eben nicht original erhalten sind. Dies gilt insbesondere für die Pfeifen, die schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit und Farbgebung, aber gerade bei den Basspfeifen auch durch die Bearbeitung (Entfernung der ursprünglichen Kröpfungen) wahrscheinlich aus mehreren Instrumenten stammen und hier zu einem neuen Klangbild zusammengeführt wurden.